Ein alternativer Blick auf Schmerz und Krankheit

JETZT wäre der richtige Moment, um etwas zu ändern. Alte überlieferte Texte geben uns den Hinweis: Immer, wenn du „Leid“ empfindest, ist das genau der Zeitpunkt, um etwas zu ändern. Unsere Absicht ist dabei der entscheidende Faktor!

Wie ist dein Verhältnis zu deinem Körper? Magst du ihn? Wie empfindest du den ersten Blick am Morgen in den Spiegel? Fühlst du dich wohl in ihm und gemeinsam mit ihm?


Wieso frage ich das?


Jeder Schritt ist Lebensqualität. Das wird uns schnell bewusst, wenn wir uns eine Blase gelaufen haben. Jeder Handgriff ist eine selbstverständliche Nebensächlichkeit, bis uns ein kleiner Schnitt in den Finger die vielen kleinen Handgriffe zur schmerzhaften Qual werden lässt. Dadurch wird uns aber auch plötzlich wieder etwas sehr bewusst, was wir sonst gar nicht als große Besonderheit betrachten.

In der Regel beachten wir ihn nicht, unseren Körper und schon gar nicht, all die genialen Strukturen, aus denen er konstruiert ist. Idealerweise läuft er klaglos mit, während wir mit unserem Alltag beschäftigt sind. In der Regel laufen dabei jedoch Körper und Geist getrennt.

Wie denkst du über deinen Körper? Empfindest du ihn als geniale Stütze oder eher als Hindernis? Hättest du gerne einen anderen Körper? Fühlst du dich vielleicht sogar benachteiligt, im Vergleich zu vielen Körper-Idealen heute in unserer Gesellschaft? Als Hindernis empfinden wir ihn allerdings immer dann gewiss, sobald er uns behindert, all die Dinge zu tun, die uns eigentlich wichtig wären. Erkrankung, Verletzung oder plötzlicher Schmerz überrollen uns gefühlt stets zum absolut unpassenden Zeitpunkt. So ist es absolut verständlich, dass wir diese Hindernisse gerne schnellstmöglich wieder loshaben wollen.


Wir könnten diese Momente aber auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten und als einen Hinweis sehen, dass etwas aus dem Ruder gelaufen ist. In der Regel ist unser System schon länger davor aus der Balance geraten und wir haben so leise Signale wie Müdigkeit oder Überforderung viel zu lange ignoriert.

In einer Yogapraxis üben wir einen zunehmend bewussten und achtsamen Zugang zu unserem Körper. Wir beginnen auf der Basis dessen, was gerade da ist. Es sollte genau nicht um perfekte Formen, irgendwelche Schönheits- und Gesundheitsideale oder ein körperliches Können gehen. Wir erforschen den aktuellen Zustand und so wird uns bewusst, dass dieser Körper unser wichtigstes Zuhause in diesem Leben ist. Wir erkennen, dass sein aktuelles Aussehen, sein Zustand und sein Gewicht, doch auch sehr viel damit zu tun haben, wie wir in den vergangenen Jahren mit ihm umgegangen sind. Wir richten den Fokus neu auf Bewegung, beginnen zu spüren und zu fühlen und schulen die Wahrnehmung unserer Strukturen.

Yoga gehört heute in den meisten Reha-Einrichtungen zur Schmerz-Therapie. Gerade bei Schmerzen ist es wichtig zu üben, den Blickwinkel weitzustellen. Dann wird uns bewusst, was alles möglich ist und wohin wir wieder gehen wollen. So ziehen wir uns selbst weg von der Fokussierung auf die Einschränkung und vor allem von den eigenen Ängsten, dass diese Beeinträchtigungen auf Dauer bleiben. Vertrauen in die Selbstheilungskräfte unseres Körpers und Zuversicht werden zu unseren stärksten Verbündeten.

Mit Yoga könnten wir mit der Zeit eine von Achtsamkeit, Behutsamkeit und Wertschätzung getragene neue Beziehung zu unserem Körper, aber auch zu unseren geistigen Kräften aufbauen. Dann entsteht eine neue und so wichtige Absicht, dass wir uns künftig anders verhalten wollen. Diese Absicht gilt dann aber auch regelmäßig umzusetzen. Disziplin und Durchhaltevermögen sind dann die neuen Kräfte, die IN uns entstehen und uns auf alternative Wege führen. Interessanterweise steht darüber auch bereits in den alten Weisheitstexten geschrieben.


Dazu müssen wir weder sportlich sein noch perfekte Formen haben. Wir müssen auch keine außergewöhnliche Veranlagung haben oder gar ein Google-Gesundheitsexperte werden. Gerade wenn bereits so einiges massiv aus dem Ruder gelaufen ist, gilt es unsere alten Gewohnheiten und Glaubenssätze zu überdenken.

Beginnen wir doch einfach mit dem banalen Gedanken, überhaupt Mensch sein zu dürfen. Was soll denn daran so prickelnd sein?

Folgende Überlegung: Einem Neugeborenen sind Namen und Bewertungen und jeder Vergleich, jede Idee von gut und schlecht, richtig und falsch völlig fremd. Ein Kind handelt in den ersten Lebensjahren ausschließlich aus purer Lust und Neugier. Es ist auf einer einzigartigen Entdeckungsreise. In dieser Zeit verschalten sich jeder Minute unzählige neue Nervengeflechte in seinem Gehirn, einfach weil es beginnt, seine eigenen Händchen und Zehen zu entdecken.

Diesen uns allen angeborenen Entdeckergeist gilt es wieder zurückzuerobern. Diese völlig in sich selbst versunkene Begeisterung eines Kleinkindes, könnte auch wieder zu unserer einzigartigen Entdeckungs- und Abenteuerreise in jeder Yogapraxis werden. Für ein Kind ist es pure Faszination, wenn es ihm gelingt, die ersten Schritte allein zu laufen. Es nimmt dabei auch in seinem Überschwang selbstverständlich in Kauf, dass es ab und zu hinfällt. Nie käme es auf die Idee nicht wieder aufstehen zu wollen und auch zu können. Es will immer wieder neu erleben, was es alles kann, wie sich Stehen und Laufen anfühlt. So entdeckt es jeden Tag ein Stückchen mehr in seiner Welt. Es entwickelt Vertrauen in seinem Können und in seinen Körper.


Irgendwann ist es dann für uns zur Selbstverständlichkeit geworden, so vieles zu können und zu beherrschen. Wir betrachten dies nicht mehr als etwas Besonderes…bis zu dem Moment, wo uns Schmerz oder Krankheiten plötzlich beschränken.


Irgendwann und oftmals völlig überrascht stellen wir fest, dass wir diese genialen Fähigkeiten unseres Körpers, uns zu bewegen, zu balancieren, zu rennen und zu springen, zu tanzen und auf dem Boden im Schneidersitz zu sitzen verloren haben. Wir haben die Freude uns in diesem Wunderwerk Körper bewegen zu dürfen, ganz einfach auf dem Weg durch unseren Alltag und all die Jahre einfach vergessen und irgendwann unbemerkt verloren.


Schon so viele Jahre beobachte ich als Trainerin, WIE Menschen sich bewegen. Wie viele haben schnell das Zitat parat: „Sport ist Mord.“ …Ein wunderbares Argument, um es sich mit dem „inneren Schweinehund“ auf der Couch gemütlich zu machen. Manche bemerken, dass die Knie- und Hüftgelenke streiken, wenn sie mit ihren Enkeln auf dem Teppich spielen wollen, andere wenn der Arzt von einem „neuen Hüftgelenk“ spricht.


Wieso dieser Artikel und woher dieser Ansatz? Einfach, weil ich auch bereits mit knapp 40 Jahren aufgrund von Schmerzen und einer fortgeschrittenen Arthrose mit so einem neuen Gelenkersatz konfrontiert worden bin. Ich habe mich für einen „alternativen“ Weg entschieden. Niemals würde ich mir anmaßen, dadurch besser zu wissen, was für andere die richtige Maßnahme sei.


Aber durch meine Tätigkeit ist mir vielleicht einfach bewusster, dass wir unsere Muskelkraft und unsere Beweglichkeit verlieren, wenn wir sie nicht aktiv in unserem Leben fördern. Es gibt gewiss viele sinnvolle und unterstützende therapeutische Maßnahmen, kein anderer Mensch kann Kraftzuwachs und Krafterhalt in unseren Muskeln bewirken. Kein anderer kann Beweglichkeit, Stabilität und Koordination in unseren Systemen bewirken. Unser Körper immer wieder neuronale Verschaltungen bahnen, bis ins hohe Alter. Aber dazu müssen wir in stimulieren. Das kann kein Therapeut für uns bewirken, ebenso wenig, wie uns ein anderer die Wirkung eines Herz-Kreislauftrainings für unser Herz, unsere Gefäße und unseren Lungen über Medikamente oder eine Infusion verabreichen kann.

Einzig unsere eigene Absicht, ein neues „besseres“ lebendigeres, leichteres, elastischeres, kraftvolleres Körpergefühl haben zu wollen, wird uns wirklich auf die Beine bringen. Sonst leben wir eben weiter in einer vertrauten Gewohnheitszone, in der der Körper über die Jahre mehr Struktur verliert, als er aufbaut – außer vielleicht Fett. Alles, was wir in unserem normalen Alltag an körperlichen Fähigkeiten brauchen, beherrschen wir in dieser Zone automatisch. Fahrrad fahren haben wir als Kind gelernt. Die Bewegungen laufen automatisiert und unbewusst. Trotzdem fühlen wir uns anfangs etwas unsicher, wenn wir nach langen Wintermonaten zum ersten Mal wieder aufsteigen. Um unserer körperlichen Ressourcen jedoch dauerhaft erhalten zu können, braucht es weit mehr als diese gewohnten Bewegungsradien. Wenn wir uns nicht ab und zu auf den Boden setzen und wieder aufstehen, baut unser Körper die Kraft und Beweglichkeit in den Beinen ab. Er passt sich einfach unserem Alltagsverhalten an. Wenn unser Hüftgelenk immer nur im 90 Grad Winkel auf Stühlen verweilt, kann es irgendwann keinen Schneidersitz mehr. So einfach!


Somit ist vielen in unserem Lebenswandel abhängig von unseren tiefen Absichten und Entscheidungen.


Manchmal ist es auch einfach eine Bereicherung, mal wieder mit anderen Augen auf dieses Geschenk „Leben in diesem Körper“ zu schauen. Unsere  Gewohnheitszone ist wichtig. Sie gibt uns ein Sicherheitsgefühl. Aber nur das Vertrauen und der tiefe Wunsch, diese Zone auf Dauer in ihren Grenzen weit zu halten, wird uns auf die Beine bringen, um neues Terrain zu erobern.

Yoga bedeutet, einzigartige Bewegungsqualitäten und all die genialen Fähigkeiten deines Körpers neu zu entdecken. Genieße dich, lote deine aktuellen Grenzen auf eine sanfte und liebevolle Weise aus. Dann freu dich und sei stolz, wenn dir etwas Neues gelungen ist. Genieße Leichtigkeit, Elastizität ebenso wie Stärke. Dann danke deinem Körper, diesem engsten Vertrauten und wichtigsten Berater. Begreife diese vielen kleinen Fähigkeiten deiner Beine und Füße, deiner Hände und Finger, deiner Sinnesorgane und all deiner Organe, die unermüdlich für dich rund um die Uhr schalten und walten, wieder als etwas Einmaliges und Besonderes, als Geschenk des Lebens an dich.

Du musst dazu gar nicht ständig auf die Yogamatte gehen. Jeder elastische, beschwingte, federnde Schritt führt dich zu dieser besonderen neuen Lebensqualität zurück, immer dann, wenn du ihn bewusst gehst und einen Augenblick im JETZT verweilst.


Tipp: Wie wäre es, wenn du gleich jeden Morgen mit deinem Körper ins Gespräch gehst? Gerne zeige ich dir wunderbare Bewegungsrituale, die du schon im Bett ausführen kannst und die nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Viellicht wirst du dann wieder mit der Verzauberung eines Kindes in den Tag starten und dich über deine Zehen und Finger, all deine Gelenke und über jeden beschwingten Schritt, den du mal locker und flott über Treppen gehst, freuen können? Begeisterung für DEINE Zehen und DEINE Finger? Niemals? Dann beginne doch einfach jetzt, etwas an eurem Verhältnis zu ändern und sie zu verschönern.

Jeder schmerzfreie beschwingte Schritt ist Lebensqualität! Danke Körper!

Übrigens: Tanzen lässt unmittelbar viele neue Nerven-Verschaltungen in unserem Gehirn entstehen…und zwar bis ins höchste Alter. Also wieso nicht einfach den Lieblingssong einlegen und abtanzen direkt jetzt auf dem Wohnzimmerteppich mit dem Gefühl von durchtanzten Nächten im Herzen? Funktioniert nicht immer, aber falls, tut es einfach gut und wirkt nach.